Interview mit Julian Cordes über Start-Up Gründung, Pitches und Marktanalyse
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Der heutige Interviewpartner Julian Cordes arbeitet bei der Otto Group Digital Solutions, in der er Head of Ideation ist. Dort werden im E-Commerce-, Fintech- und Logistik-Bereich B2B Start-Ups aufgebaut und Company-Building betrieben. Beim Company-Building, einer Gründungsform, beteiligt sich ein Investor aktiv an der Entstehung eines neuen Unternehmens. Bei der Otto Group Digital Solutions werden eigene Tools und Prototypen gebaut, womit dann bestenfalls im Markt neu gegründet werden kann. Das Team entwickelt Ideen und pitcht diese anschließend vielfach. Doch was genau braucht der Markt und was könnte man entwickeln bzw. bauen? Erst nachdem diese wichtigen Fragen beantwortet wurden und der Pitch erfolgreich war, werden erste Prototypen gebaut.
Was sind die ersten Schritte für die Entwicklung innovativer Ideen?
Eine häufig genutzte Möglichkeit, neue Ideen zu entwickeln ist es, sich auf dem bisherigen Markt genau umzuschauen. Was gibt es bisher schon an Tools und Technologien? Was für Probleme herrschen auf dem Markt und wie werden diese bisher gelöst? Es wird nicht direkt lösungsorientiert gearbeitet, sondern sich zunächst intensiv mit den Problemen auseinandergesetzt. Welche Marktteilnehmer haben welches Problem und wie kann ich als Start-Up das Problem lösen? Anhand des relevanten Problems wird anschließend an einer effizienten Lösung gearbeitet.
Um an dieser Stelle spezifischer zu werden, liest man beispielsweise viel in aktuellen Magazinen und schaut sich um, um interessante Anregungen und spannende Themen zu finden. So identifiziert man wichtige Probleme, die auch einfacher gelöst werden könnten. Anschließend wird auch oft in eigenen Netzwerken gefragt, wie andere Unternehmen sowie Marktteilnehmer das Problem bisher lösen.
Wie werden diese Gespräche mit den Interessengruppen geführt?
Die Gespräche, die geführt werden, unterlaufen einer stetigen Weiterentwicklung, damit möglichst überzeugend mit operativen Ansprechpartnern und potenziellen Kunden gesprochen werden kann. Hierbei ist es hilfreich zunächst die generelle Thematik anzusprechen und sich anzuhören, wie die Unternehmen zu dem Thema stehen oder das Problem bisher wahrnehmen und lösen. Erst gegen Ende eines solchen Gesprächs präsentiert man die neue, bessere potenzielle Lösung. Dann wird erfragt, ob das Unternehmen sich vorstellen könnte damit zu arbeiten und es ihr Problem effizienter lösen kann. Erst, wenn Unternehmen dem zustimmen, beginnt eine Testphase. Dabei probieren einzelne Unternehmen das Produkt mithilfe der Prototypentwicklung aus. Produkte können sowohl physisch als auch digital sein.
Faktor Marktgröße – Wie erschließt man den Markt mit seinen begrenzten Netzwerken?
Um den kompletten Markt inklusive der Meinung vieler Marktteilnehmer zu repräsentieren, sollte man immer spezifische Kennzahlen heranziehen. Dies könnten z.B. der bisherige Umsatzanteil in dem Bereich von ähnlichen Unternehmen in der Branche oder repräsentative Studienergebnisse sein. So wird unter anderem ermittelt, wie viel Marktanteil man erreichen und von denen abgreifen kann. Den Umsatzanteil anderer Unternehmen in dem Bereich kann man gut durch Kontakte mit Insights aus dem eigenen Netzwerk herausfinden. Es ist sehr wichtig, das Interesse des Marktes gut abschätzen zu können, um die Preiskalkulation für das neue Produkt optimal zu gestalten. Man darf nie vergessen, dass Kunden auch kleine Start-Ups sind, die sich das Produkt leisten müssen, um es entsprechend abzukaufen.
Wann weiß man, ob eine Idee reif für den Markt ist?
Start-Up Gründer leben sinnbildlich oft in ihrer kleinen Blasen, sind schnell subjektiv überzeugt von ihrem Produkt oder Service und stecken viel Zeit, Energie und Geld in ihr Projekt, sodass es Ihnen am Ende schwer fällt einzusehen, dass Ressourcen eventuell falsch investiert wurden. Dies zeigt noch einmal, wie wichtig es tatsächlich ist, immer einen Blick auf die Meinung der potenziellen Kunden zu haben, da diese am Ende des Tages dazu bereit sein müssen, das Produkt zu nutzen. Meist haben diese schon eine bisherige Lösung, die vielleicht nicht optimal funktioniert. Trotzdem gehört noch ein großer Schritt dazu, tatsächlich Ressourcen und Geld in eine neue Software zu investieren, wenn es auch so bisher funktioniert.
Ein Scheitern am Markt kann allerdings gut verhindert werden, indem man rechtzeitig die wichtige Vorarbeit leistet und den Markt genau analysiert. Die ersten Ideen und der gesamte Prozess wird durch vielen Pitches geprägt, sodass diese optimal ablaufen sollten.
Auf welche Pitches sollte man vorbereitet sein?
- Ein wichtiger Pitch findet meist beim Projektstart mit dem Kunden statt, in dem Problem und Lösung präsentiert werden und nach dessen Meinung gefragt wird. Durch lockeres Brainstorming entsteht ein entspannter Austausch. Mithilfe von umfangreichen Fragebögen werden relevante Faktoren wie Kaufinteresse ermittelt. Der Fokus liegt dabei immer auf Investitionen mit dem eigenen Geld.
- Ein weiterer Pitch findet innerhalb der Firma mit den Kollegen statt, wobei erfragt wird, ob sich weitere Kollegen der Idee anschließen wollen und das Projekt in der Umsetzung realisieren wollen.
- Außerdem gibt es einen Pitch um die relevanten Programmierressourcen.
- Sobald ein Prototyp entwickelt wurde, pitcht man nochmal bei den Unternehmen. Hierbei werden mit KPIs Kosten- und Zeitersparnisse dargelegt, die durch die neue Start-Up Idee erreicht werden können. Dann überlegen sich die Firmen, ob sie das neue Produkt einsetzen wollen.
- Am Ende folgt noch ein Pitch mit Zahlen und Fakten, wobei wirklich nach Geld gefragt wird. Für die Realisierung eines Projekts benötigt man meist eine Firma, die über ausreichend finanzielle Ressourcen verfügt, sodass sie z.B. weitere Mitarbeiter bezahlen kann. Auch ein spezifischer Business Plan wird bei diesem letzten Pitch präsentiert.
Wann sollte man sich um finanzielle Unterstützung für ein Start-Up kümmern?
Die einfachste Option scheint zunächst, indem man beispielsweise direkt bei Business Angels nach finanziellen Mitteln für die Idee fragt. Business Angels haben den Vorteil, dass sie bereits in einer sehr frühen Phase der Unternehmensgründung unterstützen. Bestenfalls sollte man sich allerdings erst einmal intern in die Lage der Kunden hineinversetzen und sich im Vorfeld genau überlegen, inwiefern diese von einer Idee wirklich profitieren. Außerdem ist es wichtig, sich frühzeitig an seine Führungskraft zu wenden, um Bescheid zu sagen mit welchem Thema man sich beschäftigen möchte.
Mit Meinungsbild oder Fakten überzeugen?
Des Weiteren sollte immer zwischen dem Meinungsbild der potenziellen Kunden sowie relevanten Daten und Zahlen differenziert werden, da es ansonsten schwer wird Geld, Zeit und Ressourcen für seine Idee zu erhalten. Diese zwei Aspekte müssen kombiniert im Fokus stehen, um am Ende ein ganzheitlich überzeugendes Konzept zu präsentieren. Beispielsweise helfe eine Automatisierung dem Unternehmen XY 10% mehr Umsatz zu generieren, welches durch repräsentative Tests mit ein paar Firmen deutlich bestätigt wurde. Ein solcher Ansatz überzeugt oft neue Kunden, da sie direkt wissen, ob es wirklich funktioniert oder zumindest Potenzial hat. Wenn man ein solches Potenzial beweisen kann, ist es viel einfacher mit dem Gesamtkonzept zu überzeugen, da dann spezifische, gut begründete Zahlen auf den Tisch gelegt werden können.
Man sollte bestenfalls auch schon im Vorfeld einige feste Kunden generieren, da somit weitere Geldgeber dann einfacher zu einem finanziellen Zuschuss überzeugt werden können. In manchen Bereichen ist es allerdings schwer exakte Zahlen zu bekommen. In diesen Fällen muss man sich an dem Umsatz der anderen Marktteilnehmern der Branche orientieren. Der Nachteil dieser Methode ist allerdings die geringere Glaubwürdigkeit im Gegensatz zu realen, aussagekräftigen Tests.
Die Relevanz von Smoke Tests
Wie wichtig die sogenannten Smoke Tests sind, hängt stark vom Thema ab. Smoke Tests können auch als Funktionalitätstests bezeichnet werden, da sie Softwares vor der Markteinführung oder dem Launch auf Fehler testen. Sie beginnen zum Beispiel mit einem Website-Aufbau, wobei die Informationen eines Beta-Tests für ein bestimmtes Produkt präsentiert werden. Dann werden die potenziellen Kunden auf diese Website geführt und man zeigt Ihnen, wie man ihr Problem lösen könnte. Sie haben ein Produkt, nun ist es die Chance der potenziellen Kunden sich für den Beta-Test anzumelden. Beta-Tests sind Software-Tests eines Software-Produktes in der Entwicklungsphase einer Beta-Version. Diese Tests werden unter realistischen Anwendungssituationen von den zukünftigen Nachfragern durchgeführt. Auch wenn man noch kein Produkt hat, kann man sich dadurch schnell ein Meinungsbild der Kunden verschaffen.
Wenn man die Kunden dann einmal eingefangen hat, ist es sinnvoll noch eine Umfrage durchzuführen und die Leute auszufragen. Bei Bedarf, kann auch nach persönlichen Gesprächen gefragt werden. Wenn das Interesse bei den Beta-Tests groß war, steigt die Wahrscheinlichkeit enorm, dass ein Produkt auch eingeführt wird.
Wann ist der richtige Zeitpunkt für einen Smoke Test?
Generell gilt allerdings immer: Lieber noch kostengünstig abbrechen als zu viel unnötig produziert zu haben und auf der gesamten Ware sitzen zu bleiben. Daher ist der Zeitpunkt für Smoke Tests relativ weit vorne in der Entwicklung und zwar, sobald eine spezifische Idee da ist. Somit bekommt man ein Stimmungsbild, welches man hervorragend auch für den späteren Pitch nutzen kann. Hierbei kann man mit Fakten punkten, wie z.B. Es haben bereits über 100 Leute unterschrieben bzw. teilgenommen, die die Idee sehr überzeugend fanden.
Eine letzte Frage: Was hat es mit dem Thema Skalierbarkeit im Start-Up Bereich auf sich?
Skalierbarkeit ist immer ein wichtiges Thema, wenn es um die Entwicklung von neuen Start-Up Ideen geht. Man sollte sich fragen, wer man als Gründer überhaupt ist. Möchte man alleine gründen oder benötigt man ein größeres Team? Je nachdem wie viele Ressourcen man benötigt, desto größer muss auch skaliert werden. Wenn ich mehrere Personen anstellen muss und über HR gehe, muss aufgrund des hohen Kostenaufwands entsprechend mehr Geld erwirtschaftet werden. Geht man allerdings über eine Software-Lösung, ist es meist einfacher und ressourcenschonender. Wenn ein Unternehmen dann wächst, kann man immer noch HR hinzufügen.
Fazit: Den Markt immer im Blick haben.
Um die Thematik noch einmal zusammenzufassen ist das Wichtigste bei der Start-Up Gründung, dass das Produkt den potenziellen Kunden gefällt und es sie von vorne bis hinten überzeugt. Gründer sollten nicht nur in ihrer Blase leben, sondern auch die Probleme der Gesellschaft beachten und bestenfalls sinnvoll lösen. Dabei sollte man immer im Hinterkopf behalten, dass die erste Idee nicht immer die beste Idee ist. Wahrer Erfolg beruht auf einer stetigen Weiterentwicklung, die gemeinsam mit Kunden und internen Mitarbeitern vorangetrieben wird. Das Produkt sollte immer weiter hinterfragt werden, damit es reift und kontinuierlich besser wird.
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